Montag, 23. Mai 2005

stadtentwicklung im ostseeraum - beispiel Tallinn

Geographisches Institut der Universität Kiel - pdf

Verstädterung ist ein weltweites Phänomen. Der Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft und der immer größer werdende Wunsch großer Bevölkerungsanteile nach individuellen urbanen Lebensformen läßt auch im Ostseeraum die Bedeutung der Städte ständig weiter wachsen. Unter der Last des anhaltenden Bevölkerungszuwachses kommt es dabei zu immer größeren Problemen für das städtische System. Die Tendenzen der Suburbanisierung des Wohn- und Konsumbereiches stellen zudem die Innenstädte vor neue Probleme. Es müssen daher neue Konzepte geschaffen werden, die ein Aussterben der Innenstädte mit ihrem oft historischen Baubestand verhindern können. Im östlichen Ostseeraum kommen die Probleme des politischen Systemwechsels hinzu, der die Städte vor eine Vielzahl weiterer zu bewältigender Aufgaben stellt.

...In Litauen ist der Verstädterungsprozeß nahezu zum erliegen gekommen, in Estland und Lettland nahm der Grad der Verstädterung von 1990 bis 2000 sogar ab. Dies hat jedoch nicht zu bedeuten, daß das Streben nach städtischen Lebensformen hier nicht so stark ausgeprägt ist. Vielmehr ist der Rückgang politisch bedingt und hängt mit dem Abwandern der russischen Bevölkerungsanteile aus den baltischen Staaten zusammen.

...Die politischen Systeme beeinflussen die Ziele und Prinzipien von Städtebau und Stadtplanung, die Struktur der städtischen Wirtschaft, die institutionellen Organisationsformen sowie die Segregationsprozesse der Gesellschaft im Stadtraum

...Verfall der Altstädte setzte erst in den siebziger Jahren ein, als erste Großwohnsiedlungen in Plattenbauweise errichtet wurden.
Das Ende der sozialistischen Ära Anfang der 1990er Jahre läutete eine Wende in dieser Entwicklung ein. Die Reprivatisierung des Gebäudebestandes und die Restitutionen an die Alteigentümer sorgten für neue Investitionen in die Altbauten, die Kapitalbildung aus Grund- und Immobilienbesitz wurde zu einem bedeutenden Faktor für die Entwicklung der städtischen Wirtschaft. Der Trend zur Tertiärisierung der Wirtschaft führte zu einem erheblichen Attraktivitätsgewinn der Innenstädte, die als Standort für Dienstleistungsunternehmen als ideal angesehen werden. Ausländische Investitionen fließen hierbei meist in die prestigeträchtigen Hauptstädte, was ausgeprägte Primate-City-Effekte zur Folge hat. Dies ist vor allem in Estland und Lettland zu beobachten, da hier die Hauptstädte gleichzeitig die wichtigsten Hafenstädte sind und somit politische wie wirtschaftliche Bedeutsamkeit in sich vereinen

...Im wesentlichen sind es drei Faktoren, die einen raschen Veränderungsprozeß in der Innenstadt von Tallinn bewirkten. Erstens die Restitution der während der Sowjetherrschaft unrechtmäßig enteigneten Gebäude an die Alteigentümer, zweitens die Privatisierung der Einzelhandels- und Dienstleistungsunternehmen und drittens ein ständig wachsendes Kunden- und Kaufkraftpotential, nicht zuletzt auch durch die Tagestouristen aus Finnland

...bereits Ende 1995 über 80% der alten Gebäude wieder in den Besitz ihrer alten Eigner
zurückgeführt.
...Im Rahmen einer Massenprivatisierung wurden die sozialistischen Wohngebäude und die älteren Gebäude, auf die kein Alteigentümer Anspruch erhob, den Bewohnern zum Kauf angeboten.
...Davon wurde so reger Gebrauch gemacht, daß eine sehr große Zahl von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt wurde.
...Die etwa 440 Einzelhandelsgeschäfte und Dienstleistungsunternehmen in der Innenstadt von Tallinn wurden 1992 und 1993 im Rahmen der sogenannten „Kleinen Privatisierung“ über öffentliche Auktionen vom staatlichen in privaten Besitz überführt.

...Problematisch für Tallinn ist der immer noch anhaltende Rückgang der Einwohnerzahl. Grund hierfür ist das Abwandern eines Großteils der russischen Bevölkerung.
...Die Tatsache, daß nur 13,7% der in Estland lebenden Russen Estnisch sprechen und die zunehmende negative Einstellung gegenüber den Russen sind wichtige Gründe für die Benachteiligung der Russen auf dem Arbeitsmarkt
...Die sinkende Einwohnerzahl kann aber durch die hohe Kaufkraft der finnischen Tagestouristen ausgeglichen werden. Allein 1997 kamen über 2,4 Mio. Finnische Touristen – überwiegend aus konsumorientierten Motiven – nach Tallinn, so daß die Innenstadt auch weiterhin einen wirtschaftlichen Aufschwung genießt.

Auf diese Weise konnte das Zentrum Tallinns binnen kürzester Zeit die Spuren des Sozialismus beseitigen und eine enorme Dynamik entwickeln. Die funktionale Umgestaltung und die bauliche Erneuerung schritten rasant voran und zudem profitierte die Innenstadt davon, daß bisher, anders als in den meisten anderen Ländern, in Estland bislang keine großflächigen Einkaufszentren an den Stadträndern existieren. Daher verläuft die Belebung des städtischen Zentrums von Tallinn auch heute noch ungebremst.

...Die künftige Entwicklung im Baltikum läßt sich auch als „neue Gründerzeit“ beschreiben. Die immer stärkere Divergenz der sozialen Schichten wird dafür sorgen, daß sich eine immer reichere besitzende Oberschicht herausbildet und eine immer ärmere Unterschicht. Eine Mittelschichtgesellschaft wird es, so wie es in der Vergangenheit schon immer war, auch in Zukunft nicht geben.

Am Beispiel der City von Stockholm war gut zu erkennen, welche Fehler in der Stadtentwicklung gemacht werden können und welche ungeahnten Folgen ein zu unkontrolliertes Wachstum der Gebäude- und Inhaberstrukturen haben kann. Die Tallinner Innenstadt ist ein gutes Beispiel dafür, wie die städtischen Zentren der postsozialistischen Staaten wieder zu neuer Vitalität erweckt werden konnten, nachdem sie in der sowjetischen Ära eher vernachlässigt wurden und starken Verfallserscheinungen ausgesetzt waren. Wichtigstes Ziel der Stadtentwicklung im Baltikum muß es daher sein, zu verhindern, daß dieselben Fehler, die in der Vergangenheit schon in den Stadtzentren der westlichen Staaten gemacht wurden, nun hier wiederholt werden. Es muß von vornherein auf ein gesundes und ausgewogenes Wachstum geachtet werden, bei dem auch Wohnfunktionen und eine vielfältige Einzelhandelsstruktur nicht aus der Innenstadt verdrängt werden. Nur auf diese Weise kann eine vitale und attraktive Innenstadt entstehen und auch auf Dauer erhalten bleiben.

neue architektur in Estland

taz-artikel vom 2.4.2002

Individualistischer Funktionalismus in Estland. Eine Architektur-Schau in der Freien Akademie der Künste

... gespürt haben es die Esten immer während der 50-jährigen Sowjet-Okkupation: Dass sie Teil Europas sind, dass ihre Sprache der finnischen näher steht als der russischen und dass sie, sobald möglich, auch politisch zu Europa gehören wollen. Und sie haben es fast geschafft: Die Inflation ist seit 1992 von 1000 auf 4,1 Prozent gesunken, der Handel mit Russland seit 1991 von 80 auf zehn Prozent gesunken, der mit Westeuropa um 80 Prozent gestiegen.

... 1991 errang der Staat, zum zweiten Mal seit 1918, die Souveränität und setzt seitdem legal fort, was zu Sowjet-Zeiten nur eingeschränkt möglich war: die Suche nach Ausdrucksmitteln nationaler Identität und neu gewonnener Unabhängigkeit.

...eine einheitliche Stadtplanung existiert dort derzeit nicht. Zu kompliziert sind die Besitzverhältnisse, da viel ehemals enteignetes Land zurückgegeben werden muss. Ein Prozess, der nur parzellenweise gelingt und kontinuierliche, großflächige Planung verhindert.

überwindung der postmoderne

freizeitklassenkampf für konsumismus? .................................... dieser diplomblog führt zu einem architekturdiplom und darüber hinaus. untersuchungsgebiet: Lasnamäe, Tallinn, Estland


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